Sabrina Radeck Fotografin
Sabrina Radeck Fotografin

Biodiversität. Eine Annäherung

Teil I: Der Versuch einer Vergiftung für den guten Zweck

Ich kann nicht sagen, dass die Vergiftung einer Mohnblume von langer Hand geplant war. Ich wollte es ausprobieren, stolperte eher in die ganze Sache hinein. Mal sehen, wie das Gift wirkt. Wenn nichts passiert, dann passiert nichts. Aber wenn sie stirbt, am Gift, dann wäre das ein Erfolg. Wenn man bei einer Vergiftung überhaupt von einem Erfolg sprechen kann. Den Sozusagen-Erfolg wollte ich dann minutiös fotografisch dokumentieren. Den schleichenden Niedergang der Mohnblume. Den qualvollen Tod durch Glyphosat. Skrupel? Nein, hatte ich nicht, dachte ich. Außerdem: Es sollte ja für eine gute Sache sein. Für die Ausstellung zum Thema Biodiversität in der Landwirtschaft. Man muss eben Opfer bringen, um auf etwas aufmerksam zu machen. So ungefähr dachte ich mir das. Nein, eigentlich dachte ich noch nicht einmal das. Und vielleicht war das schon ein Anzeichen für das Scheitern dieses Projekts. Aber das sah ich noch nicht.

So unbedarft, wie ich in mein Vorhaben stolperte, so stolperte ich auch in einen Baumarkt in Berlin-Tegel, um ein Fläschchen Roundup zu kaufen, Pflanzenschutzmittel mit Glyphosat. Nach langem Suchen fand ich das abgeschlossene Regal mit den Mittelchen, die die schönen Pflanzen schützen und die unerwünschten vernichten sollen. Aber: alles ohne Glyphosat. Was aus ökologischer Sicht eine gute Erkenntnis war, war für mich eine Enttäuschung. Ich fragte also die Verkäuferin: „Sagen Sie, haben Sie hier nichts mit Glyphosat?“ Ich erntete einen ungläubigen und auch etwas abschätzigen Blick. So etwas werde nur noch selten nachgefragt, sagte die Dame. Auf welchem Mond leben Sie eigentlich? Das sagte sie nicht, aber so fühlte ich mich. Bloßgestellt als eine Vernichterin ohne Sinn für die Schönheit eines diversen Gartens, der auch vermeintlich nicht schützenswerte Pflanzen willkommen heißt. Schnell raffte ich, von schlechtem Gewissen geplagt, ein paar Geranien, Mädchenaugen und Lavendelpflanzen zusammen und verließ glyphosatfrei den Laden. Das glyphosathaltige Mittel bestellte ich schließlich im Internet.

Natürlich hatte ich zum Ausgraben der Pflanzen nichts weiter mitgenommen als meine bloßen Hände

Die Anschaffung einer Mohnblume verlief nach ähnlichem Muster. Ich überlegte mir grob, ein Getreidefeld irgendwo in der Nähe Berlins aufzusuchen, auf einen Feldrand mit wild wachsenden Blumen und Gräsern zu treffen und dann ein paar Mohnblumen auszurupfen. Allein, wo gibt es ein Getreidefeld mit blühender Feldrandgarantie? Ich wollte schließlich nicht vergebens die mühevolle Reise mit U-Bahn, Regionalexpress und Fahrrad auf mich nehmen, um am Ende vor monothematischen Feldern zu stehen und unverrichteter Dinge wieder abreisen zu müssen. Da schien es mir doch viel einfacher, meine Schwester in Nordrhein-Westfalen, im schönen Kamen-Methler zu besuchen. Sie wohnt quasi direkt im Feld. Beweisfotos mit Mohnblumen hatte ich schon in ihren Instagram-Storys gesehen. Die Reise mit Tram, U-Bahn, ICE und Regionalexpress schien mir dabei überhaupt nicht umständlich.

In Kamen-Methler angekommen, schafften es meine Schwester und ich auch gerade noch am letzten Tag meines Besuchs, in die Maisfelder zu radeln. Und am Rande der Felder leuchtete es uns tatsächlich schon mohnblumenrot entgegen. Natürlich hatte ich zum Ausgraben der Pflanzen nichts weiter mitgenommen als meine bloßen Hände. Also grub ich an Stellen, an denen es mir am erfolgreichsten schien, die wirklich sehr langen Wurzeln der Pflanze mit ihren zarten Blüten, die bei der kleinsten Erschütterung sofort abfallen, aus. Meine Schwester wartete geduldig, aber untätig. Wahrscheinlich wollte sie sich nicht der Mithilfe bei einer Vergiftung schuldig machen. Als ich ausreichend Blumen ausgebuddelt und Erde unter den Nägeln hatte, stopfte ich die Ausbeute in meinen Rucksack. Oben schauten die restlichen Blüten heraus. Und was bis jetzt an zarten Blütenblättern noch nicht abgefallen war, löste sich spätestens im Fahrtwind bei der Rückkehr in die Wohnung.

Ziemlich kahl zwar, aber noch mit geschlossenen Blüten, die mir Hoffnung machten, bereitete ich die Mohnblumen auf ihre große Zugfahrt nach Berlin vor. Ihre Wurzeln umwickelte ich mit feuchten Tüchern, drumherum, es ging leider nicht anders, kam natürlich eine Plastikschicht zum Einsatz, um die Feuchtigkeit über mehrere Stunden zu konservieren. Diese Konstruktion fand in der einzigen Tasche, die meine Schwester entbehren wollte, Platz: in einem Rewe-Stoffbeutel. Das Rot der Rewe-Schrift hätte gut zu den Mohnblumenblüten gepasst, wenn noch welche da gewesen wären.

Dank Corona-bedingter spärlicher Auslastung des ICE hatten die zarten, aber reiselustigen Mohnblumen sogar einen eigenen Sitzplatz. Ich machte es ihnen so bequem wie möglich, lüftete ein wenig die Rewe-Tasche und achtete darauf, dass ihre Köpfchen nicht abknickten. Ich kam kaum zum Lesen, vor lauter Sorge um die Pflanzen. Denn natürlich dachte ich schon über das weitere Vorgehen nach. Hatte ich noch genug Erde zuhause? Und Pflanzentöpfe! Bang erinnerte ich mich an meine letzte Balkon-Pflanzaktion, bei der der letzte Topf für das Mädchenauge draufgegangen war. Zu allem Überfluss war es Samstagabend, als ich in Berlin ankam. Keine Möglichkeit, noch schnell etwas für eine artgerechte Mohnblumenhaltung zu besorgen. So sehr meine Zuneigung zu meinen kleinen Schützlingen wuchs, so sehr wuchs auch mein Zweifel an der Verwirklichung meines Plans.

Aber dann kam mir eine Idee, da waren wir schon in der U-Bahn, Station Naturkundemuseum, meine Blumenkinder und ich. Blumenkindern ist es schließlich egal, dachte ich, in welchen Töpfen sie aufwachsen. Es müssen ja nicht diese Ton-Dinger sein. Hauptsache, es ist ausreichend Liebe und Fürsorge vorhanden.

Und so kam es: In meiner Berliner Wohnung angekommen, führte mich mein erster Gang auf den Balkon, wo ich erleichtert noch einen halben Beutel Erde entdeckte. Ein Bierglas, ein defekter Messbecher und ein alter Topf wurden nun die neue Heimat meiner Mohnblumen. Ich platzierte sie an geschützte und sichere Stellen auf dem Balkon, sorgte in den nächsten Tagen dafür, dass sie ein paar Stunden Sonne bekamen und beobachtete ein wenig sorgenvoll ihren Ankommensprozess. Die noch geschlossenen Knospen hingen doch arg schlapp nach unten. Überhaupt wunderte ich mich über die Knospen, musste ich doch zugeben, dass ich Mohnblumen immer nur in Blüte gesehen hatte. Die kleinen, pockigen und pelzigen Ovale mit ihrer Sollbruchstelle in der Mitte waren mir noch nie aufgefallen.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage mittlerweile vergangen waren, aber eines Morgens war eins der Ovale aufgeplatzt. Nur ein ganz kleines bisschen, aber es tat sich etwas. Meine Blumenkinder hatten sich an ihre neue Umgebung, hoch oben (dritte Etage!), gewöhnt und fanden es offenbar so angenehm, dass sie noch einmal blühen wollten. Und das taten sie. Mit jedem weiteren Tag öffnete sich der Spalt ein bisschen mehr. Mittlerweile waren sogar noch andere pelzige Ovale aufgegangen. Zu sehen waren zerknautschte rote Bündel, wie dünnes, rotes Papier, das man in eine Form stopft, oder ein rotes Seidenkleid, das zerknittert aus einem Koffer heraus will.

In diesem Zustand hatten sie noch nichts gemein mit den offenen und großzügigen Blüten, die sie einmal werden sollten. Ganz zart, ganz schrumpelig schälten sie sich vorsichtig aus ihren pockigen Schutzmänteln heraus. Natürlich dokumentierte ich diesen Prozess minutiös und fotografisch. Die Geburt der Mohnblüte. Ich war so gefesslt von der Anmut meiner Blumenkinder, dass ich die Glyphosatflaschen, die ich in der Küche aufbewahrte, nur am Rande und unwillig wahrnahm. Lustlos las ich die Anleitung zur Mischung und zum Aufbringen des Giftes und verschob die ganze Sache auf den nächsten Tag. Und auf den nächsten und dann auf den übernächsten. Ich müsste schon noch die volle Blüte abwarten, redete ich mir ein. Das wäre sicher dramatischer für die Fotos. Die Tage verstrichen, glyphosatfrei, aber mit großzügigen und lebenslustigen roten Blüten. Ich konnte einfach keine giftige Lösung mischen und sie mit einer Apparatur auf die zarten Blüten, Stiele und Blätter meiner Blumenkinder sprühen. Ich konnte diese Schönheit nicht vernichten. Auch nicht für ein Foto. Und auch nicht für einen guten Zweck.

Teil II: Die Entgiftung

Ein Jahr und einige harte und weiche Lockdowns später, in denen natürlich keine Ausstellung zur Biodiversität stattgefunden hatte, und ihr mögliches Stattfinden in meinem Kopf überhaupt nicht mehr stattfand, erreichte mich eine flotte Nachricht der Projektleiterin:

Ich schaute auf das aktuelle Datum, dann wieder auf das Datum der Deadline. Das ging mehrere Male hin und her. Zwei Wochen. Kurzer Zeitraum, dachte ich. Aber die Dringlichkeit kam nicht bei mir an. Es löste nichts aus, außer einer gewissen Ungläubigkeit: Sie kann das nicht wirklich ernst meinen mit dem „weiteren Versuch“. Zwei Wochen. Fotografieren, Schreiben, überhaupt wissen, was ich noch einmal versuchen will. Und ob ich irgendetwas versuchen will. Knapp, sehr knapp. In Vor-Corona-Zeiten wäre das sicher machbar gewesen. Aber jetzt, nach etwa 18 pandemisch zäh geprägten Monaten erzeugten Deadlines, die in weniger als drei Monaten enden, bei mir eine Art Unmachbarkeitsgefühl. Oder gab es das Unmachbarkeitsgefühl schon immer und die pandemisch zähe Prägung war nur eine billige Ausrede? Das Gehirn fühlte sich jedenfalls nach Lockdown an, es funktionierte träge, hatte die Zukunft verlernt und auch die Möglichkeit, ein Ende zu denken. Dachte ich.

Ich spielte auf Zeit, natürlich in der Erwartung, dass ersteres, „ein neues Projekt fotografieren“, mit „nein, nein, das haben wir natürlich nicht gemeint“ beantwortet werden würde. Aber so kam es nicht:

Passiert … passiert, erwartet … Form, Kleinode. – Diese Wörter aus der Mail wanderten in meinem Kopf herum. Gleich zwei Kleinode! – Zeitfenster, Laune. Zwei Dinge, die überhaupt nicht zueinander passen. Und über nichts davon verfügte ich, weder über ein Zeitfenster, noch über eine Laune, die mit Kleinoden zu tun hatte. In meiner Fantasie zermalmte ich Mohnblumen. Ich glaubte, jetzt sei der Punkt für ihre Zerstörung gekommen. Was denkt diese Frau sich eigentlich? Zeitfenster, Kleinode, Laune. In Gedanken rupfte ich kostbare Feldränder leer und tränkte alles in Gift, das noch immer auf meinem Balkon steht, die Schrift auf den Flaschen schon verblichen. Ich wollte das alles nicht, googelte aber doch nach Feldrändern in der Nähe von Berlin. Einfach, um irgendetwas zu tun. Eine Antwort auf die Kleinode formulierte ich sofort, aber schickte sie erst Tage später ab, in geänderter Fassung.

Es passierte dann nichts. Ich fuhr nicht zum Feldrand, zerstörte keine Mohnblume – wieder nicht. Ich kaufte keine Petrischalen, welche ich kurzfristig als Motiv in Erwägung gezogen hatte. Ich machte nichts, was mich irgendwie voranbrachte in der Sache. Es passierte eher das Gegenteil. Meine kreative Unzulänglichkeit hatte mein Denken erreicht. Oder besser gesagt, meine Gedanken bescheinigten mir eine kreative Unzulänglichkeit. Kleine Tröpfchen des gedanklichen Gifts, der Tod jedweder Kreativität, legten sich auf meinen Geist, benetzten ihn, sickerten tief in ihn hinein. Solche Gedanken töten alles ab, was an Ideen da ist und noch emporkommen möchte. Sie zersetzen das Neue, Freie, das Schöne, das Wilde, das Unvernünftige.

Und da verstand ich es endlich: Ich hatte eine Art Glyphosat in meinem Kopf. Das Gift hatte jeglichen Wildwuchs an Gedanken verhindert oder ausgemerzt. Sterile Gleichförmigkeit wie man sie auf den Feldern sieht, wuchs auch in meinem Kopf heran und machte alles eintönig, fad, auf Leistung und Nutzen getrimmt. Aber was tun mit dieser Erkenntnis, die mein mit Glyphosat zersetztes Gehirn erst drei Tage vor Ablauf der Deadline erreichte? Ich begann, die Reste meiner Versuche, die vor Eintreten der Wirkung des Gifts entstanden waren, zusammenzusuchen: Kontaktbögen von fotografierten Pflanzen, die auf dem Tannenbaumständer in einer Ecke meiner Küche lagerten, wo ich sie nicht jeden Tag sehen musste. Scheiben geräucherten Schinkens im Kühlschrank, die ich vor einem Jahr in Glyphosat eingelegt hatte. Die sah ich allerdings jeden Tag. Die verblichenen Giftflaschen auf dem vermoosten Boden meines Balkons. Die in Glyphosat eingelegten kleinen Fotografien von Blumenwiesenblumen, die in abgedeckten Olivenschälchen auf meinem Küchenschrank vor dem Radio verstaubten. Es war der Anfang meiner Entgiftung.

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Über mich

Ich fotografiere gern Essen. Und obwohl ich aus dem schönen Essen im Ruhrgebiet komme, meine ich nicht dieses Essen, sondern das, was nicht nur schön ist, sondern auch gut schmeckt.

In meinen künstlerischen und dokumentarischen Arbeiten widme ich mich vor allem Themen, die Umbrüche in sich tragen, gesellschaftliche und menschliche.